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Review: This War of Mine – Vom Kriegsalltag der Zivilbevölkerung

Als Ende 2014 das Spiel This War of Mine (TWoM) der polnischen 11bit Studios für den PC veröffentlicht wurde, ging ein Raunen durch die Spielemedien. Das Indiespiel erschien überraschend, ohne viel PR-Tam-Tam und zog gerade deswegen viele unvorbereitete PC-Spieler in seinen Bann. Nun erschien die iPad-Version und das gibt auch endlich mir die Gelegenheit über dieses wichtige Spiel zu schreiben, welches sich auf Kriege der letzten Jahrzehnte bezieht.

Vorweg sei gesagt, dass dieses Review keine Wertung und keine Pro- und Contra-Aufzählung hat. Denn in dieser Überlebenssimulation geht es nicht um Spielspaß und klassische Wertungskriterien werden diesem Spiel nicht gerecht.

TWoM spielt in der fiktiven Stadt Pogoren. Eine osteuropäische Stadt der Moderne, die Opfer des Krieges wurde. Kaum ein Haus ist nicht bombardiert, die Infrastruktur ist vollkommen zum Erliegen gekommen. Plünderer und Rebellen machen die Straßen unsicher. Wir finden uns in einem Haus wieder, die Wände und Dächer sind durchschlagen von den Explosionen, überall liegt Schutt herum, Mobiliar ist faktisch keins vorhanden.

Ohne irgendein Tutorial fangt ihr mit euren Charakteren Bruno, Marko und Pavle an, das Haus zu durchsuchen. Schutt wird abgetragen, die Schränke werden nach den ersten Materialien durchsucht. Ihr bekommt ein Gefühl für die Steuerung. Einfach einen Charakter auswählen und den Ort berühren, wohin er laufen soll. Eine doppelte Berührung lässt den Charakter rennen.

Wurden einige Materialien eingesammelt, ist zu entscheiden, was damit passiert. Das Crafting-System ist recht komplex: An der Werkbank können verschiedene Möbel und Geräte hergestellt werden. Das fängt an bei Betten, Sessel oder einer Gitarre an und geht über eine Herdplatte, ein Radio oder eine Metall-Werkbank, an der wiederum Werkzeuge wie Brecheisen, Dietriche, Schaufeln aber auch Waffen hergestellt werden können. Bis man hier die richtige Reihenfolge und Strategie herausgefunden hat, vergehen einige Versuche. Doch schlussendlich sollte immer das Überlebensnotwendige Priorität haben: Betten helfen den Charakteren gut zu schlafen und leichte Verletzungen und Krankheiten auszukurieren. Ein Herd hilft dem Koch aus Fleisch, Gemüse und Wasser eine herzhafte und stärkende Mahlzeit zuzubereiten. Es ist auch möglich, Fleisch und Gemüse roh zu essen, verbraucht aber unnötig viel Lebensmittel. Optimierung ist eine gute Strategie.

Habt ihr dafür gesorgt, dass sich die Charaktere im Bett ausruhen und am Herd Essen zubereiten können, sollte man die Werkbank ausbauen. Danach stehen viele weitere Möglichkeiten zur Verfügung. Mit Holz kann die Fassade des Hauses verstärkt werden – dies hilft nicht nur, andere Plünderer abzuwehren, sondern auch dabei, das Haus im Winter warm zu halten. Fällt die Temperatur unter 15° werden eure Charaktere schnell krank. Mehrere Fallen für Dachboden und Keller sind ebenso wichtig, mit denen sich Mäuse und andere Kleintiere fangen lassen. Mit einer Wasseraufbereitungsanlage kann Regenwasser gereinigt werden.

Natürlich findet man die benötigten Materialien nicht im eigenen Haus. Daher ist es notwendig, mit einem Charakter in der Nacht selbst auf Plünderungstour zu gehen. Das Spiel bietet eine Vielzahl von unterschiedlichen Locations, die ihr dazu besuchen könnt. Vom Krankenhaus und einer zerbombten Schule über Ruinen und intakten Häusern (in denen noch Menschen wohnen) bis hin zu einem alten Supermarkt, der aber von Rebellen eingenommen sein kann.

In all den Orten sammelt ihr Materialien und Essen, könnt mit anderen Menschen tauschen oder ihr werdet selbst kriminell und raubt andere Menschen aus oder bringt sie sogar um. Dies wird aber nicht unbemerkt an eurer Gruppe vorbeigehen. Jeder Charakter reagiert unterschiedlich auf die Ereignisse im Spiel und kann unter Umständen depressiv werden. Das ist nicht förderlich für die Arbeiten im Haus während des Tages. Mit Gesprächen, einem gebauten Radio, erbeuteten Büchern, einem Sessel, Nikotin, Alkohol oder gar einem Gitarrenspiel kann die Gruppenmoral gehoben werden. Dennoch sollte man eine Depression nicht unnötig provozieren, denn dann verlässt der betreffende Charakter die Gruppe über Nacht, natürlich nicht ohne einen großen Teil an Nahrung, Medizin und Material mitgehen zu lassen.

Aus dieser skizzierten Ausgangslage entwickelt sich im Spielverlauf eine sehr bedrückende Atmosphäre. Die moralischen Entscheidungen sind subtil im Gameplay eingearbeitet: Raube ich nun ein altes Ehepaar aus, um die Medizin der alten Frau für meine Gruppe zu verwenden, in dem Wissen, dass es ihr Todesurteil sein wird? Gehe ich sogar soweit, das Krankenhaus auszurauben? Das Spiel wird euch zu diesen Fragen zwingen, denn Material, Nahrung und Medizin ist immer knapp und gerade im Winter wird es schwer, seine Gruppe am Leben zu erhalten. Da müssen Bücher auch mal verbrannt oder der Sessel zu Holz verarbeitet werden.

TWoM schafft es hervorragend, den Überlebenskampf der Zivilbevölkerung im Krieg fühlbar zu machen. Manche Spieler haben die sich wiederholenden Aufgaben kritisiert. Jeder Tag gleicht dem anderen: Tauschhandel. Suche nach Essen und Materialien. Reparatur von Werkzeugen und Möbeln. Doch genau so läuft der Alltag im Krieg ab. Krieg ist kein Abenteuerspielplatz, wie es so häufig in Ego-Shooter-Spielen dargestellt wird. Im Krieg gibt es keine Heldengeschichten, keine Abwechslung. Leben im Krieg heißt kämpfen um zu Überleben. Mit anzuschauen wie geliebte Menschen sterben. Im Krieg gibt es keine Gewinner. Krieg ist kein Spiel und konsequenterweise haben die Entwickler auf sämtliche Spielspaß fördernde Maßnahmen verzichtet. Die Idee hinter diesem Spiel ist es den Kriegsalltag interaktiv begreifbar zu machen. Und dieses Ziel haben die Entwickler auf beeindruckende Weise geschafft!

Das heißt aber nicht, dass es nicht auch die kleinen positiven Momente im Spiel gibt, welche die Hoffnung immer wieder wecken. Etwa wenn einem ein Nachbar Hilfe anbietet, wenn man genug Medizin hat, um den Menschen im Krankenhaus etwas abzugeben oder in dem man auf seinen nächtlichen Beutezügen Menschen begegnet, die einem für ein Stück Fleisch dankbar sind. Auch das steckt in diesem Spiel. Und irgendwann könnt ihr den Krieg überleben, vielleicht sogar als Gruppe.

Doch wann das Spiel endet kann ich nicht sagen, weil viele Faktoren mit jedem Neustart neu ausgewürfelt werden. Etwa welche Ressourcen ihr in den einzelnen Locations findet, welche Orte ihr überhaupt besuchen könnt, welche Charaktere euch während des Spiels anschließen wollen, ob bestimmte Orte von gewalttätigen Rebellen eingenommen wurden oder nicht. Jeder Spieldurchlauf birgt neue Herausforderungen.

Zum Schluss lasst mich noch kurz auf die Technik eingehen: Die iPad-Umsetzung ist sehr gut gelungen. Die Steuerung geht leicht von der Hand, lediglich das Kampfsystem lässt sich ein wenig schwammig bedienen. Mit zwei Fingern kann der Bildausschnitt vergrößert und verkleinert werden. Die 2D-Grafik in vielen grauen Stufen wirkt genauso bedrückend, wie die eigentliche Spielhandlung. Zudem ist das Spiel in deutscher Sprache und knapp 400MB.

Axel meint: This War of Mine ist eines der wichtigsten und intensivsten Spielerfahrungen, welches ich bisher hatte. Auf beeindruckende, realistische und bedrückende Weise machen die Entwickler den Kriegsalltag einer Zivilbevölkerung fühlbar. Das Spiel ist kalt, häufig unfair und nur selten blicken hoffnungsvolle Momente durch, auf die man sich dann aber umso mehr freut. Dieses Spiel ist nicht nur wichtig, weil es uns helfen kann zu verstehen, wie unsere Großelten und Ur-Großeltern in den 1940er Jahren gelebt haben müssen, sondern das Spiel ist genauso aktuell. Denn Kriege gibt es auch heute noch auf der Welt. Viele Menschen in unserem Land verstehen nicht, warum Menschen flüchten. Warum es wichtig ist diesen Menschen zu helfen und warum es herzlos ist, wenn der deutsche Staat Ausländer ohne deutschen Pass in Nacht- und Nebelaktionen abschiebt. Dieses Unverständnis kommt häufig daher, das sich die Menschen nicht vorstellen können, wie so ein Leben im Kriegsgebiet eigentlich aussieht. Auch ich hatte mir vor diesem Spiel keine Gedanken über das Thema gemacht, weil mir die Vorstellungskraft fehlte. Dieses Spiel hat dahingehend dabei geholfen, dass ich mir nun so ein Leben im Kriegsgebiet zumindest skizzenhaft vorstellen kann. Und das aufgrund der Interaktivität des Mediums Computerspiel – ein Film oder ein Buch könnte einem dieses Gefühl nicht geben.

 

Tobi meint: Spielspaß kommt bei This War of Mine nicht wirklich auf. Und das soll es auch nicht, denn es zeichnet wirklich erschreckend gut, die Befindlichkeiten im Krieg nach. Und das endlich mal nicht als heroischer Soldat, der im Alleingang eine Nation rettet. Bei TWoM muss man sich um die Gemeinschaft sorgen und wird sehr oft vor wichtige Entscheidungen gestellt. Die beschäftigen nicht nur die Spielcharaktere längere Zeit, sondern wirken sich auch auf euch aus. Wer ein unterhaltsames Crafting-Spiel sucht, ist hier also falsch! Wer an dieser sensiblen Thematik interessiert ist und sich nicht vor spielerischen Mühen scheut und sich allein in ein Spiel fuchsen kann (ein Tutorial fehlt leider komplett!), bekommt hier ein wichtiges Spiel unter die Finger.

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