Eigentlich war es mal wieder ein Donnerstag, an dem ich dachte: “Ach, da kommt kein gutes Spiel. Zeit mal den geplanten Artikel zur iPoe-Reihe zu schreiben”. Doch dann entdeckte ich das neue Spiel von Psychose Interactive. Das war gestern Abend gegen 22:00. Nun haben wir es 5:25 und ich muss doch mal meine Gedanken aufschreiben, eh ich zu Bett gehe. Seit 2009 haben die Entwickler an dem hier vorliegenden Spiel Forgotten Memories gewerkelt und eines kann ich jetzt schon vorweg nehmen: Hierbei haben wir es mit einem knallharten Survival-Horror-Adventure der alten Schule zu tun! Es fließt kaum Blut, es gibt nur sehr wenige Gore-Darstellungen, fast keine Gewalt. Warum das Spiel dennoch so ein knallharter Horror-Titel ist, erkläre ich Euch im folgenden Review…
Im Mittelpunkt der Handlung steht Detective Rose Hawkins. Sie hat den Auftrag bekommen in einer alten Irrenanstalt, das seit über 10 Jahren geschlossen ist, ein vermisstes Mädchen namens Eden zu suchen. Sie kann sich nur noch erinnern, wie sie in einem Zimmer von Jemandem angeschossen wurde. Schwer verletzt wachen wir am Anfang des Spiels auf und schleppen uns in schwarz-weiß-Grafik zum Badezimmer. Hier liegt eine Erste-Hilfe-Tasche, die wir sogleich benutzen. Unsere Lebensenergie ist wieder hergestellt. Nun schauen wir uns um. Die Irrenanstalt scheint verlassen. Doch die Pistole, die Rose ursprünglich dabei hatte, ist nicht zu finden. Alles was wir haben ist eine Taschenlampe, die mit einer Berührung auf das Taschenlampen-Symbol ein- und ausschaltet. Wir stellen schnell fest, dass die Batterie in der Taschenlampe relativ schnell leer wird.
Egal. Wir gehen aus dem Zimmer. Schon bald finden wir die ersten Tonbandgeräte. Darüber kommuniziert eine geheimnisvolle Frau namens Noah mit uns. Die finden wir auf einem Sofa sitzen – sie kann selbst nicht sprechen und kommuniziert daher über die Tonbänder. Sie weiß wo sich das Mädchen aufhält, will es uns aber erst verraten, wenn wir eine Krankenschwester für sie in der Klinik finden. Notgedrungen nehmen wir an, und bleibt ja nichts anderes übrig. Und schon bald entpuppt sich diese Reise als ein Psycho-Alptraum, der dazu die die Geheimnisse der Vergangenheit unserer Hauptfigur offenbart.
Mehr möchte ich aus Spoiler-Gründen nicht zur Geschichte schreiben. Kommen wir zum Gameplay und hier präsentiert sich Forgotten Memories erstaunlich old-school. Wir sehen das Spielgeschehen dicht über die Schulter von Rose. Mit einem virtuellen Stick auf der linken Bildschirmseite bewegt sich die Figur, mit Wischgesten auf der rechten Seite schaut sich die Figur um oder zielt mit einer ausgestreckten Waffe. Während wir zum Anfang nur ein Brecheisen zur Verfügung haben, finden wir später eine Pistole. Mfi iOS Controller-Support wird dem nächsten Update nachgereicht. Sehr löblich!
Überall in der Anstalt sehen wir Mannequins. Auf der Toilette, in den Zimmern, im Gang beim Saubermachen. Es scheint, als ob alle ehemaligen Bewohner und Angestellten der Anstalt zu Puppen geworden sind. Doch bald bemerken wir, dass die Puppen leben – spätestens als uns eine Puppe auf dem Männer-WC attackiert. Ab hier werdet ihr automatisch vorsichtig. Ständig fragt ihr euch, ob die Puppen da vorn nicht hinter eurem Rücken lebendig werden und in den Angriff gehen. Manchmal drehen die Puppen aber auch einfach nur den Kopf nach euch und beobachten eure Aktionen.
Es gibt aber nicht nur die Mannequins, die nach eurem Leben trachten, sondern auch unsichtbare Geisterwesen, die sich ruck zuck manifestieren und euch in den Klammergriff nehmen. Schüttelt ihr hier nicht schnell euer Gerät, segnet ihr das Zeitliche. Allzu häufig solltet ihr den Kampf nicht suchen, besonders wenn mehrere Gegner nach eurem Leben trachten. Hier heißt es nur die Beine in die Hand nehmen und einen Ausgang finden. Doch viele Türen sind verrammelt und vielleicht wartet im nächsten Raum noch etwas viel Schlimmeres auf euch? Dass ihr nur wenige Medi-Packs findet, verschärft den Horror genauso wie die gelungene Musik- und Soundkulisse. Denn auch damit wird euch ordentlich Angst eingejagt. Mit entfernten oder nahen Schreien, mit gruseligen Geräuschen und anderen Effekten. Ihr werdet unter Anspannung stehen, euch ständig fragen, was hinter der nächsten Ecke lauert. Immer darauf aus sein, dass die Batterie eurer Taschenlampe stets aufgeladen bleibt. Denn ist diese einmal leer, müsst ihr euch komplett im Dunkeln zurechtfinden, bis ihr an eine Aufladestation für die Batterie kommt. Lichtquellen gibt es nur wenige! So durchsucht ihr den ganzen Komplex nach Hinweisen, Schlüsseln, Nachrichten und löst Rätsel. Immer mit der Waffe im Anschlag, vorsichtig schleichend und jederzeit auf Alles gefasst.
Obwohl Forgotten Memories für iOS veröffentlicht wurde, wurde auf sämtliche moderne Elemente verzichtet! Checkpoints? Gibt es nicht. Wenn ihr sterbt, heißt es Game Over! Pause während des Inventarbildschirms? Nein, auch da läuft das Spiel erbarmungslos weiter. In-App-Käufe für mehr Munition und andere Dinge? Nein. Ihr habt einzig und allein das zur Verfügung, was euch die Umgebung bietet: Wenig Munition, wenige Medipacks. Es gibt nicht einmal eine Karte! Richtig gelesen, ihr müsst das Labyrinth auswendig lernen – oder alternativ Zettel und Stift parat haben. Zumindest gibt es immer mal wieder Hinweisschilder an den Wänden. Das erleichtert etwas die Orientierung.
Das Speichersystem wurde den alten Resident Evil Spielen entnommen. An funktionierenden Computer könnt ihr speichern. Aber: Jede Speicherung verbraucht eine Diskette. Und Disketten sind ebenfalls rar in der Welt von Forgotten Memories! Früher oder später werdet ihr vor die Entscheidung kommen: Speichere ich jetzt oder versuche ich noch weiter zu spielen? Es kann aber auch passieren, dass ihr noch einige Disketten im Inventar habt, geradeso vor einer Horde Gegner flüchten konntet. Ihr kommt in einem Raum mit einem Computer, freut euch schon abspeichern zu können… Und dann ist der Computer kaputt! Also wieder raus in die dunklen, furchteinflößende Flure der Anstalt…
Die Speicherpunkte müssen daher strategisch gelegt werden. Und genau das ist schon der nächste Punkt, der für Mobile Gamer abschreckend sein dürfte: Einfach mal eine Stunde spielen und dann Speichern? Das wird hier nicht funktionieren. Forgotten Memories ist darauf ausgelegt, dass man sich viele Stunden mit dem Spiel beschäftigt. Auch eine iCloud-Anbindung gibt es nicht. Und obwohl das Spiel mit 1,2 GB nicht gerade klein ausfällt, ist dies kein Nachteil, sondern gehört ebenso zur Philosophie die Spiels. Es ist kein Spiel, dass man mal löscht und ein paar Wochen später weiterspielt. Dann hätte man auch den Aufbau des Labyrinthkomplex vergessen. Und Forgotten Memories ist kein Spiel, dass man unterwegs im Bus spielt, sondern abends im Bett, wenn alles schläft und es dunkel ist.
Jede Entscheidung des Spielkonzepts wurde dem Psycho-Horror-Aspekt unterworfen. Das Spiel würde weniger Horror-Feeling erzeugen, wenn man wüsste, es gäbe Checkpoints. Es geht darum ein Gefühl der Angst zu bekommen und das hinter jeder Ecke das Abenteuer bereits vorbei sein könnte. Das braucht natürlich auch eine drastisch eingeschränkte Auslegung des Speichersystems. Jederzeit schafft es das Spiel, dem Spieler die Konsequenzen vor Augen zu halten. Und damit wird auch gespielt. Etwa, wenn ihr hinter eurer Figur Geräusche hört, euch voller Schreck umdreht und dann erleichtert feststellt, dass alles ruhig ist – die Mannequins sich nicht bewegen, kein Geisterwesen in Sichtweite ist. Der Einsatz von Kopfhörern ist Pflicht, da auch viel mit dem Sounddesign gespielt wird.
Das alles stößt nicht unbedingt auf viel Gegenliebe, wie ein Blick in das TouchArcade-Forum zeigt. Dort beschweren sich mindestens die Hälfte der Spieler über fehlende Checkpoints, Auto-Save-Funktion und den ganzen Komfort moderner Spiele. Das zeigt natürlich auch, wie verweichlicht viele heutige Gamer geworden sind, wenn es darum geht sich auf eine Spielwelt einzulassen. Ich finde, zu einem Horrorspiel gehört es, dass der Tod der Spielfigur absolut ist. Denn das lässt mich als Spieler vorsichtig und behutsam agieren. Und dadurch werden die knisternde Spannung und der Psycho-Horror in meinem Kopf überhaupt erst erzeugt.
Die Grafik ist die Beste, die ich seit langer Zeit auf dem iPad gesehen habe. Schöne Charaktermodelle, beeindruckende und gruselige Schattenspiele sowie eine angsteinflößende und verworrene Umgebung. Das ihr keine Übersichtskarte habt, haben die Entwickler damit ausgeglichen, dass viele Räume ihren eigenen unverwechselbaren Stil besitzen, viele Korridore einen anderen, ganz eigenen Verlauf haben.
Das Spiel ist durchgehend in englischer Sprache, aber viel zu lesen gibt es nicht. Und die Texte, die es im Spiel gibt, sind in einem sehr moderaten Englisch gehalten. Wer in der Schule im Englischunterricht aufgepasst und gelegentlich Filme und Serien in dieser Sprache schaut, sollte hier keine Probleme haben der äußerst spannenden Geschichte zu folgen. Auch die Sprachausgabe der Charaktere ist klar verständlich.
Schon immer wollte ich ein echtes Horror-Spiel a lá Silent Hill 2 oder Project Zero auf meinem iPad spielen. Die bisherigen Spiele in dem Setting waren mir entweder zu action-betont oder es waren verkappte Stealth-Spiele, bei denen es im Endeffekt nur darum ging, sich vor Monstern zu verstecken. Forgotten Memories aber ist eine Liebeserklärung an die Klassiker des Genres. Hier gibt es keine ekligen Monster, kaum Blut und nur wenige Gore-Elemente. Der Horror findet nicht auf dem Bildschirm statt, sondern verstärkt durch Sound-Design und dem Spiel mit Licht und Dunkelheit hauptsächlich im Kopf des Spielers. Immer hat man Angst, dass etwas Unerwartetes passiert.
Die grafische Schönheit des Spiels, die grandiose Story und der tiefgründige Charakter der Hauptfigur Rose Hawkings schaffen es zusätzlich den Spieler in die Spielwelt zu ziehen. Dass auf sämtlichen Komfort heutiger Spiele, gerade im Mobile-Sektor, vollkommen verzichtet wurde, ist nur auf dem ersten Blick nicht nachzuvollziehen. Als Spieler wird man die ersten Male Fehler machen und sterben. Doch mit der Zeit bekommt man ein Gefühl für die Regeln des Spielprinzips. Man überlegt sich Strategien und wenn man erlebt, dass diese auch funktionieren, dann gibt dies echte Erfolgsgefühle. Genau diese Erfolgserlebnisse schaffen es gemeinsam mit der Geschichte die Motivation des Spielers gleichbleibend hochzuhalten.
Nichtsdestotrotz ist Forgotten Memories kein Tipp für Gelegenheitsspieler. Nichts für Leute, die einfach mal zwischendurch spielen wollen. Forgotten Memories verzeiht nur wenige Fehler und ist in seiner Konsequenz knallhart. Die Atmosphäre ist immer bedrückend und zartbesaitete Personen werden, trotz der wenigen Gewaltdarstellungen, schnell das Weite suchen. Alle anderen genießen die wohl intensivste Psycho-Horror-Erfahrung, die man derzeit auf iOS machen kann.
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+ klassisches Survival-Horror-Adventure ohne Schnick-Schnack + faszinierende und fesselnde Story + grandiose, atmosphärische Grafik + viele Licht- und Schattenspiele + bedrückendes Sounddesign + beklemmende Atmosphäre + knackige Rätsel + gute Touchscreen-Steuerung + Mfi-Controller-Support angekündigt + kaum Gewaltdarstellungen + konsequenter Verzicht moderner Komfort-Features + moderates, leicht verständliches Englisch + klar verständliche Sprachausgabe + keine In-App-Käufe + Universal-App |