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Review: Late Shift – Die Telltale-Formel zu Ende gedacht

Eigentlich sind interaktive Filme ein Genre, welches ich am liebsten konsequent verbannen würde – nämlich in die 90er Jahre, wo das Genre über mehrere Jahre boomte. Obwohl damals Titel wie Star Trek: Borg oder Die Versuchung recht eindrucksvoll bewiesen, welche Kreativität in dem Genre steckten, bestanden die allermeisten Vertreter aus schlechten Filmen mit schlechten Schauspielern und schlechten Spielelementen. Dennoch ist der Marketingspruch von Late Shift – the world‘ first cinematic interactive movie – nichts anderes als PR-Gewäsch.

Seit einem Jahrzehnt feiert das Genre der interaktiven Filme solch ein Comeback, dass heute viele Spiele solchen Filmen gleichen. Seien es die Titel von Quantic Dream wie Fahrenheit oder Heavy Rain oder die jährlichen Lizenz-Umsetzungen von Telltale wie Walking Dead oder Game of Thrones. Gemein haben diese „Spiele“ alle, dass sie in Computergrafik erstellt wurden und somit keine wirklichen Emotionen vermitteln können. Zudem all diese Titel Alibi-Spielelemente wie Ballast mit sich führen, um noch irgendwie als Computerspiel durchgehen zu können, auf die man aber natürlich auch locker verzichten könnte. So kritisierte auch Entwicklerlegende Warren Spector letztes Jahr, dass sich heutige Spieleentwickler doch gleich in das Film-Medium verziehen sollen, wenn sie denn Filme drehen wollen. Eine Kritik, der ich mich vorbehaltlos anschließen möchte.

Wenn man schon interaktive Filme machen möchte, dann nehmt doch bitte echte Schauspieler, echte Drehorte und macht Filme! Und hier kommt nun Late Shift vom schweizer Startup-Unternehmen ctrlmovie ins Spiel: In ihrer ersten Veröffentlichung handelt es sich um einen interaktiven Film, der die Telltale-Formel zu Ende denkt. Es gibt echte Schauspieler, echte Drehorte, es ist ein einzig großer Film. Mit einem Unterschied zu traditionellen Filmen – ihr entscheidet, wie sich die Hauptfigur im Film verhält! An bestimmten Stellen gibt es am unteren Bidlschirmrand verschiedene Auswahlmöglichkeiten, ihr habt jedoch nur ein paar Sekunden Zeit zu wählen, wie in einem Telltale-Titel. Dafür entfallen Unterbrechungen und Alibi-Spielelemente wie man sie aus dem Genre kennt. Es gibt keine Laufwege, kein nerviges Suchen nach der nächsten Aktion, welche die nächste Filmsequenz einleitet. Bei Late Shift folgt eine Filmsequenz der Nächsten.

Und worum geht es? Der Zuschauer folgt der Story rund um den Sicherheitswachmann Matt. Dieser sorgt in einem Parkhaus für Ordnung. Bis er eines Tages von Verbrechern entführt wird, die ein wertvolles Juwel von einer chinesischen Familie stehlen wollen. Dabei handelt diese Gruppe nicht allein, sondern im Auftrag einer rivalisierenden Familie. Innerhalb dieser Verbrechergruppe lernt Matt die schöne May-Ling kennen und vielleicht bald auch lieben. Das liegt in eurer Entscheidung.

Genauso wie es eure Entscheidung ist, wie der große Coup endet und was die Ereignisse für Matt persönlich bedeuten. Insgesamt 7 Enden und 180 Entscheidungspunkte sind im interaktiven Film integriert. Je nachdem, welche Entscheidungen ihr trefft, ändert sich nicht nur die Geschichte und die Handlungsorte, sondern natürlich auch das Ende. Das unterscheidet Late Shift ebenfalls von Titeln aus dem Hause Telltale Games, wo das Ende immer fest steht, egal welche Entscheidungen getroffen werden.

Die Drehbuchautoren und der Regisseur haben es geschafft, trotz Entscheidungen nette Plot-Twists einzubauen. Egal ob Du in einer Gefahrensituation stehen bleibst oder wegrennst, was Du zu Gefährten sagst, es ist meist nicht abzusehen, wie die Umwelt darauf reagiert. Das hebt die Entscheidungen heraus, auch wenn am Ende freilich nicht alle Entscheidungen so wichtig für den Verlauf der Handlung sind.

Die Schauspieler sind recht unbekannt, machen ihre Sache dennoch sehr gut. Der ganze Look des Films erinnert an eine moderne TV-Serie und mit rund 1,4 Millionen Euro Produktionskosten konnte auch die eine oder andere Action-Szene glaubhaft realisiert werden.

So viele Entscheidungen sowie die HD-Auflösung der Filme fordern natürlich auch Speicherplatz auf eurem Gerät. Rund 4,7 GB werden fällig. Schön, dass die Entwickler den Film geteilt haben. Es reicht immer einen Teil herunterzuladen und zu schauen. Dann kann dieser Teil gelöscht und der Nächste runtergeladen werden. Die App merkt sich euren Fortschritt und die Entscheidungen.

Je nach Entscheidung wird Euch Late Shift rund 70 bis 80 Minuten im ersten Durchlauf unterhalten. Der Preis von 9,99€ geht daher in Ordnung, so viel bezahlt man auch für einen normalen Film bei iTunes. Hier kommen jedoch unterhaltsame Entscheidungen und verschiedene Enden hinzu. Late Shift kann daher für einen entspannten Popcorn-Filmabend empfohlen werden. Durch das fehlen der Alibi-Gameplayteile wie bei anderen Produktionen ist das Erzähltempo hoch und kann sicherlich über die eine oder andere Spannungslücke im Drehbuch hinweg helfen. Mir hat Late Shift gefallen und ich würde mich über mehr richtige interaktiven Filme mit solch hoher Produktionsqualität freuen.

[appbox appstore 886526292]
+  unterhaltsame Geschichte
+ viele Entscheidungspunkte
+ motiviert zu mehrfachem Ansehen
+ 7 verschiedene Enden
+ hohe Produktionsqualität
+ ein Durchlauf ~ normale Filmdauer
+ deutsche Untertitel
+ Film aufgeteilt in mehrere Teile
+ Universal-App
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