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Review: The Lion’s Song – Ein außergewöhnliches Adventure. Oder doch Kunstwerk?

Wien kurz vor dem ersten Weltkrieg. Auf den Straßen sind Fuhrwerke unterwegs, die Damen tragen Röcke und der Mann von Welt einen dicken Schnauzbart, einen Hut tragen hier sowieso alle. Man spricht hier auch von der Wiener Moderne, einer Blütezeit in allen kulturellen Bereichen. Und genau hier siedelt das Wiener Entwickler-Studio Mi’pu’mi Games sein Point&Click Adventure The Lion’s Song an.

Das Adventure ist in 4 Episoden eingeteilt, welche in der mobilen Version alle sofort mit an Bord sind. Und hier könnt ihr wahrlich ein Schnäppchen machen – die mobile Version kostet gerade mal die Hälfte der Steam-Fassung und das ohne Abstriche machen zu müssen. The Lion’s Song erzählt von vier verschiedenen Menschen, wobei jede Episode einen davon näher ins Rampenlicht stellt und das Spiel euch mindestens fünf Stunden Spielspaß bietet.

Ganz hervorragend sind diese vier Stränge miteinander verwoben und leiten so schön durch das Spiel. Die Erzählweise ist übrigens keine Einheitskost, sondern selbst für bewanderte Adventure-Freunde eine angenehme Abwechslung. The Lion’s Song schafft es, die Charaktere vor den Augen des Spielers zu formen, ihnen wirklich Tiefe zu geben und den Spieler mit ins Boot zu holen, wenn es heißt eine Melodie, ein Bild oder eine Formel zu erschaffen. Das gelingt nur wenigen Adventures.

Im Kopf von drei Genies

In Episode 1 begleiten wir Wilma, eine aufstrebende Komponistin moderner klassischer Musik, die im Dunstkreis Arnold Schönbergs und Gustav Mahlers agiert. Nebenbei bekommt man Einblicke in das Entstehen von Musikwerken, aber auch in die innere Zerwürfnisse der jungen Frau. Episode 2 erzählt von dem Maler Franz Markert, der die Gabe hat, Menschen und ihre Facetten zu sehen. Als Spielkniff wird dies auch grafisch umgesetzt.

Die Darstellung der Künste ist wirklich gelungen

In Episode 3 folgen wir der jungen Mathematikerin Emma Recniczek, die ein großes Problem hat: Sie ist eine Frau. Und die galten zu dieser Zeit nicht viel, vor allem in Universitätskreisen. Da fallen schon mal Sätze wie „Mathematik ist zu komplex und gänzlich ungeeignet für das weibliche Gehirn.“, wodurch man sich als aufgeklärte:r Feminist:in und Mensch der Jetztzeit (und ja, alles könnte immer besser sein, auch heute) bereitwillig auf die Seite der begabten jungen Frau schlägt.

Die vierte Episode bringt keinen neuen Charakter auf die Bühne, sondern zeigt die Verflechtungen der bisherigen Episoden auf und bringt das Spiel zu einem Ende. Hübsch: Am Ende jeder Episode sieht man noch einmal, wie viel Prozent anderer Spieler:innen sich ebenfalls an wichtigen Punkten so entschieden haben.

Echte Rätsel darf man hier aber nicht erwarten. The Lion’s Song führt den Spieler straight vorwärts. Es gibt zwar hier und da kleine Rätselchen, die sind aber nicht der Rede wert, sondern sind eher dafür da, dass man nicht nur einen interaktiven Film ansieht, sondern sich selbst als Protagonist fühlt. Was das Adventure spielerisch vermissen lässt, holt es locker durch seine Art des Erzählens und der Präsentation wieder raus.

Und jetzt auch auf dem Touchscreen

Im letzten Jahr ist das Adventure für Steam erschienen, nun also die mobile Umsetzung.

Manche Szene hat viele Hotspots auf kleinem Raum

Die Steuerung ist hier etwas gewöhnungsbedürftig und eventuell auf kleineren iPhone etwas fummelig, ideal spielt man es auf einem iPad. Immerhin, man kann stufenlos zoomen. Um alle Hotspots einer Szene zu sehen, muss man den Finger auf den Bildschirm halten bis sie erscheinen und dann den Finger auf die gewünschte Stelle ziehen und dort loslassen. Die Hotspots sind aber nur als Punkte dargestellt, so dass man jeweils mit dem Finger darüber muss, um zu lesen, um was es sich dort handelt.

Das Artwork des Spieles ist genial und erinnert in seiner Formsprache teilweise an frankobelgische Comics – allerdings muss man dem Charme von groben Pixel etwas abgewinnen können. Die Farben sind ausschließlich in Sepia-Tönen gehalten, während die Hintergründe mit wenigen Szenen und kleinen Animationen punktgenau eine Stimmung schaffen. Dazu trägt auch der gute Sound bei, der meist aus Umgebungsgeräuschen und natürlich Musik besteht. Kopfhörer sind hier wärmstens zu empfehlen. Es ist komplett mit deutschen österreichischen Texten versehen, eine Sprachausgabe gibt es nicht. Genauso wenig wie InAppKäufe.

The Lion’s Song erzählt drei wunderbare Geschichten, die miteinander verwoben werden. Statt großen Rätseln bekommt man hier vorrangig eine gute Story mal angenehm erfrischend, mal philosophisch erzählt. Deswegen eignet sich das Spiel für alle, die eher an einer Geschichte, als an einem klassischen Point&Click Adventure mit Inventar-Rätseln interessiert sind. Das minimalistische Pixel-Artwork und die passende Soundkulisse erschaffen eine passende und wohldosierte Atmosphäre einer nostalgisch aufgeladenen Zeit. Und wer sich für Musik interessiert, bekommt zu diesem Spiel einen weiteren, tieferen Zugang. Eine echte Empfehlung und in vielerlei Hinsicht eine Perle!

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