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Warum Pokémon Go keine Welle an AR-Games ausgelöst hat

Pokémon Go schlug vor zwei Jahren ein wie eine Bombe – und obwohl für den Mainstream Augmented-Reality-Games noch ein Fremdwort war, spielten plötzlich alle! Gamer, Kinder und Jugendliche, Influencer, sogar Eltern und Großeltern, es war wie ein Fieber. Analysten sagten eine goldene Zeit für AR voraus, diverse Firmen, darunter auch Niantic (die Macher von Pokémon Go) starteten AR-Games-Projekte. Aber der Goldrausch ist nicht eingetreten, nur Pokémon Go zieht weiter seine Bahnen. Wo ist das Genre falsch abgebogen?

Menschen betreten versehentlich militärisches Sperrgebiet, laufen über Autobahnen oder besetzen ganze Straßen in Innenstädten. Zum Release von Pokémon Go war eine Schlagzeile kurioser als die andere. Der Hype war riesig, sogar die Tagesschau berichtete. Zu Hochzeiten gab Entwickler Niantic 21 Millionen aktive Spieler an. Das waren mehr, als die Dauerbrenner-App Candy Crush Saga zu diesem Zeitpunkt erreicht hat. Allerdings ist es seit einigen Jahren relativ ruhig um diese Art Spiele geworden. Fehlt es bei Niantic und der Konkurrenz an Ideen für das nächste große AR-Spiel? War Pokémon Go nur ein Glückstreffer? Wie reagieren die Hersteller auf Niantics Erfolg? Beginnen wir von vorn…

Standortbasierte AR-Spiele

Titel wie Pokémon Go sind sogenannte standortbasierte AR-Spiele. AR ist die Abkürzung für den Begriff Augmented Reality, zu Deutsch „Erweiterte Realität“. Grundsätzlich bedeutet das erstmal nur, dass reale Bilder oder Videos mit digitalen Elementen angereichert werden. Das können Filter bei Snapchat oder Instagram sein. Aber auch Pokémon, die über eine Handykamera auf dem Schreibtisch herumhüpfen. Bleiben wir bei Pokémon Go: Während sich Filter auf Bilder und Videos beschränken, geht Niantic einen Schritt weiter und nutzt die gesamte reale Welt als Spielwelt. Das bedeutet, dass sich die Spieler tatsächlich aus ihren Häusern bewegen müssen, wenn sie einen bestimmten Ort erreichen möchten. Befindet sich am Ende der Straße ein PokéStop, muss der Spieler tatsächlich dorthin laufen. Ähnlich sieht es bei den verschiedenen Arten der Pokémon aus. Wasser-Pokémon beispielsweise können nur an Seen oder Meeren gefunden werden.

Pokémon Go machte den Begriff „Augmented Reality“ der breiten Masse bekannt.

Gerade in den Anfangstagen des Pokémon-Go-Hypes entstanden durch die Verteilung der PokéStops immer wieder kuriose Szenen in den Städten dieser Welt. So musste beispielsweise die Girardet-Brücke in Düsseldorf für den Autoverkehr gesperrt werden, weil sich zu viele Spieler auf ihr aufhielten. Für kurze Zeit wurden von der Stadt sogar Toilettenhäuschen aufgestellt. Pokémon Go zeigte schnell und eindrücklich, was für eine immense Auswirkung vermeintlich harmlose Apps auf die Realität haben können. 

Am Anfang war Ingress

Die Idee hinter dieser Art von Spielen existiert nicht erst seit Pokémon Go. Im Jahr 2010 wurde innerhalb des Google-Konzerns das Startup Niantic gegründet. Bereits zwei Jahre später veröffentlichte das junge Unternehmen die App Ingress. Damit war der Grundstein für eines der erfolgreichsten Mobile Games der letzten Jahre gelegt: Niantics nächstes Spiel entstand in Zusammenarbeit mit Nintendo und der The Pokémon Company.

Die Technologie hinter Ingress kam 2016 auch in Pokémon Go zum Einsatz.

Wer Ingress kennt, wird sofort Parallelen in Pokémon Go erkennen. In der realen Welt sind die Spieler mit ihren Smartphones unterwegs, sammeln Ressourcen und nehmen an standortbasierten Events teil – soweit so bekannt. Allerdings konnte sich Ingress mit seinem Fantasy-/Sci-Fi-Setting nie so richtig im Mainstream-Sektor behaupten. Zwar versammelt die App bis heute eine treue Fangemeinde hinter sich, von 21 Millionen aktiven Nutzern ist sie aber weit entfernt. Im Gegensatz zu Pokémon Go steht bei Ingress mehr der Konflikt zweier verfeindeter Fraktionen im Vordergrund und nicht das Sammeln von Gegenständen oder Monstern. Sammelmechaniken gelten gemeinhin als effektiver Motivationsschub. 

Konkurrenz mit großen Namen

21 Millionen aktive Spieler, Aktienkurse, die sich verdoppeln, auf Anhieb auf Platz 1 in den App Stores: So eine Erfolgsgeschichte bleibt nicht unbemerkt. Die Konkurrenz witterte einen großen Kuchen, an dem sich Niantic bisher ganz allein satt aß. Bevor Apps wie Minecraft Earth oder The Walking Dead Our World in den App Stores starteten, versuchte sich Niantic mit einer neuen Lizenz an einem eigenen Pokémon-Go-Killer. Gemeinsam mit Warner Bros. Spiele-Label Portkey Games entwickelte Niantic Harry Potter: Wizards Unite. Die Erwartungen an den Titel nach Pokémon Go waren groß. So groß, dass Zweifel aufkamen, ob die App überhaupt erfolgreich sein kann.

Harry Potter: Wizards Unite Trailer.

Der Release von Harry Potter: Wizards Unite im Jahr 2019 verlief ohne großes Spektakel. Überlastete Server und Spieler, die erneut die Straßen und Innenstädte fluteten, blieben aus. Die Kritiken und das Spielerfeedback fielen eher verhalten bis enttäuscht aus. Auch in unserem Appchecker konnte uns die App nicht so recht überzeugen. Die Sammelmechanik wirkte aufgezwungen und unpassend, die Mikrotransaktionen wurden sehr penetrant in das Spiel eingebaut und wer in dünn besiedelten Gebieten lebt, muss teils absurde Strecken zurücklegen, um Gegenstände oder Ressourcen zu finden. Der große Erfolg blieb ebenfalls aus. Laut der Analyse-Seite Sensortower generiert Harry Potter: Wizards Unite einen Monatsumsatz von 1.000.000 US-Dollar. Zum Vergleich: Pokémon Go kommt auf einen Umsatz von 46.000.000. US-Dollar. Im Monat. 

Das „Harry Potter“-Problem

Wizards Unite hatte mit zwei großen Problemen zu kämpfen. Die Erwartungen an Niantic waren nach dem Erfolg von Pokémon Go viel zu groß. Außerdem sicherten sich die Entwickler neben dem großen Pokémon-Franchise mit Harry Potter die nächste Mega-Lizenz, die sich allerdings als sperriger und nicht zugänglicher als Pokémon herausstellte. Der Titel stand zu sehr im Schatten des Erfolgs der Vorgänger-App. Sehr wahrscheinlich haben viele Entwickler ihre AR-Ambitionen zurückgefahren, als öffentlich wurde, dass Niantic gemeinsam mit Portkey Games an einem AR-Spiel mit Harry-Potter-Lizenz arbeitet. Wer wäre wahnsinnig genug gegen Pokémon UND Harry Potter anzutreten? Erst als sich der Misserfolg von Wizards Unite abzeichnete, ließen einige Publisher ihre AR-Testballons starten. Die Apps, die nach Wizards Unite veröffentlicht wurden, stehen noch einem weiteren Problem gegenüber: Pokémon Go läuft bereits seit 2016 erfolgreich und belohnt vorbildlich seine aktiven Spieler. Warum sollten Interessierte also nach 3 bis 4 Jahren zu einer App wechseln, die sich nur durch die Lizenz von Pokémon Go unterscheidet?

Klone statt Innovationen

Mit Jurassic World Alive unternahm Warner Bros. einen neuen und eigenen Versuch, ein erfolgreiches AR-Spiel zu veröffentlichen. Im Grunde genommen fällt Jurassic World Alive allerdings in die gleiche Kategorie wie Wizards Unite: nämlich die des Pokémon-Go-Klons. Anders sieht es bei den Spielen The Walking Dead Our World und Minecraft Earth aus. In ersterem sind die Spieler nicht damit beschäftigt, Monster, magische Gegenstände oder Dinosaurier zu sammeln, sondern sie müssen in der Postapokalypse überleben. Eine in Kapitel aufgeteilte Story begleitet sie beim Aufbau einer eigenen Basis.

Jurassic World Alive Trailer.

Microsoft und Mojang verfolgen mit Minecraft Earth auch einen anderen Ansatz. Die App überträgt das Spielgefühl des originalen Minecrafts in die echte Welt, die auf einer Karte in der bekannten Klötzchenoptik dargestellt wird. Ein großer Bestandteil der App ist Bauen in AR. Das heißt, dass die Spieler mit aktivierter Handykamera auf einem ebenen Untergrund eine Fläche platzieren, auf der sie anschließend losbauen können. So fügen sich Minecraft-Objekte scheinbar in die echte Welt ein. Momentan befindet sich die App noch im Early Access. AR-Interessierte sollten sie unbedingt im Auge behalten, da hier ein völlig anderer Ansatz als bei Pokémon Go und Konsorten erprobt wird. Ähnlich sieht es bei der App AR Dragon aus. Hier kümmern sich die Spieler um ihren eigenen kleinen Drachen. Gemäß bekannter Tamagotchi-Traditionen füttern und trainieren die Spieler ihr Drachen-Haustier. Ohne Sammelmechaniken und nicht standortbasiert.

Lasst Pokémon Go hinter euch!

AR lebt, aber die Entwickler dieser Tage müssen endlich Pokémon Go hinter sich lassen. Sich mit dieser App zu messen, ist Wahnsinn. Niantic hat zwar mit Ingress eine neue Form der digitalen Unterhaltung geschaffen und mit Pokémon Go einer breiten Masse zugänglich gemacht. Allerdings wissen sie auch, dass sich das Erfolgskonzept nicht ohne Weiteres kopieren lässt. Strohfeuer wie Jurassic World Alive oder Harry Potter: Wizards Unite scheinen zu bestätigen, dass auch in diesem Genre eine starke Lizenz nicht zwangsläufig großen Erfolg mit sich bringt. Diese Spiele leben von ihrer Marke und nicht von überzeugenden Ideen oder ausgereiften Spielmechaniken. Microsoft und Mojang beweisen mit Minecraft Earth, dass auch Konzepte abseits der Pokémon-Go-Formel Erfolg haben. Zugegeben: Die Marke Minecraft ist bestimmt auch sehr hilfreich.

Mit Minecraft Earth legt Mojang den Fokus auf Bauen statt Sammeln.

Dennoch wünschen wir uns für die Zukunft, dass sich mehr Entwickler mit eigenen Ideen und eigenen Settings an AR-Spiele heranwagen. Bisher findet man abgesehen von Ingress keine erfolgreiche AR-Game-App, die nicht auf einer großen Marke basiert.

Quellen:

RP Online, CNBC, Guinness World Records

Bildquellen:

Screenshots aus der App und Webseiten des Spielherstellers.

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