Wisst Ihr noch? Die gute alte Zeit? Damals, 1993? Als die Welt – nun – vielleicht nicht in Ordnung, aber definitiv noch eine andere war? Wir alle waren Kinder oder junge Jugendliche. Unschuldig, neugierig, leicht zu beeindrucken. Mit kindlichen Augen haben wir die Welt auf dem Schutt der Berliner Mauer erlebt und tragen heute die Erinnerung an jener Zeit mit unschuldigen Augen in unseren Herzen. Das nennt sich Nostalgie. Heute sehnen wir uns mal mehr und mal weniger nach den Dingen unserer Kindheit zurück. Das weiß natürlich auch die Industrie und nutzt diese Nostalgie, um uns alten Kram nochmal zu verkaufen. Nicht umsonst kommt alle 20 Jahre alles wieder. Nur, manche Dinge sollten wir definitiv in den 90ern belassen: Mr. Big genauso wie schlechte Fortsetzungen einstmals großartiger Serien. Tamagotchis und Schnapp-Armbänder? Wir sollten beten, dass irgendwann nicht auch diese Dinger wiederkommen. Und dann wäre noch das sagenumwobene Day of the Tentacle Remastered von damals LucasArts jetzt Double Fine. Das Modus Operandi des Adventure-Genres. Keine Homepage im Netz ohne Vergötterung und Überhöhung. Wenige Adventure-Spiele, welche nicht all die negativen Aspekte von Day of the Tentacle wiederverwendet haben.

Es gibt wohl kein Computerspiel, welches das unschuldig aufgebaute Sandschloss eines Kindes mehr verkörpert als Day of the Tentacle. Und weil dem so ist, ist es Zeit, nicht nur mindestens die Hälfte unserer Leser für immer von der AppGemeinde zu verprellen, sondern unzählige Sandschlösser niederzutrampeln. Denn dieser vermeintliche LucasArts-Klassiker war nie ein gutes Spiel und ist es heute, 23 Jahre später, schon gleich dreimal nicht. Genau genommen ist Day of the Tentacle bestenfalls unterdurchschnittlich!

Eigentlich ist die Grundidee ganz nett

Dott2 Wir nehmen das Spielprinzip von Maniac Mansion, der Spieler steuert drei Charaktere gleichzeitig, und stricken drumherum eine Zeitreise-Geschichte. Der verrückte Dr. Fred, welcher im ersten Teil noch eine junge Frau entführte und einem Meteor opfern wollte, lebt mit seiner nicht minder verrückten Familie immer noch im alten Anwesen. Genauso wie die beiden Tentakel, Purpur und Grün. Purpur trinkt vom verseuchten Wasser aus Freds Labor, bekommt zwei Arme und will nun die Welt an sich reißen. Bernhard und seine zwei Freunde, der Rocker Hoagie und die Biologie-Studentin Laverne, werden zu Hilfe gerufen. Der kühne Plan Dr. Freds: Die drei sollen in die Vergangenheit reisen und die Maschine im Labor ausschalten. Doch für seine Zeitreisemaschine nimmt Fred einen falschen statt einem echten Diamanten. Das führt zu Komplikationen: Hoagie reist 200 Jahre in die Vergangenheit, Laverne 200 Jahre in die Zukunft und Bernhard bleibt in der Gegenwart. Während es in der Vergangenheit keinen Strom gibt, um die Zeitreisemaschine wieder anzuwerfen, wurde in der Zukunft die Menschheit von den Tentakeln versklavt und wie Haustiere gehalten.

Soviel zur bekannten Ausgangssituation. Das Problem des Spiels: Eine weitere Geschichte gibt es nicht. Sämtliche Ideen des Spiels würden auch ohne diesen Kontext funktionieren. Zeitreisegeschichten haben ja normalerweise den Reiz, dass ein Charakter aus der Gegenwart staunend in die Vergangenheit reist, oder dass die Zukunft besonders originell dargestellt wird. In beiden Disziplinen versagt das Spiel auf ganzer Ebene. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind – bis auf ein paar Unterschiede – im Design recht ähnlich gehalten. Was daran liegt, dass es bis auf das Anwesen keine weiteren Locations zu entdecken gibt. Aber auch daran, dass die Charaktere im Spiel blass und lediglich Abziehbilder billigster Klischees sind. Laverne beispielsweise ist hibbelig, nervig und zeigt darüber hinaus überhaupt keine Gefühlsregungen. Hoagie, der Rocker in der Vergangenheit, ist überbetont cool. Er funktioniert in den Gesprächen mit Thomas Jefferson, George Washington oder Benjamin Franklin noch am besten – hier zeigt das Spiel durchaus seine wenigen Stärken. Darüber hinaus passiert aber auch in der Vergangenheit nichts, was man heute als eine funktionierende Geschichte bezeichnen würde. Bernhard und Laverne dagegen fehlt es an interessanten Gesprächspartnern und somit ist man in der Gegenwart und Zukunft eher mit nervigen Inventarrätsel beschäftigt.

Dott3 Aber bleiben wir mal noch ganz kurz bei der Geschichte von Day of the Tentacle: Purpur möchte also die Welt erobern und er hat es, wie in der Zukunft gezeigt wird, auch geschafft. Was aber nicht gezeigt wird: Wie konnte Purpur denn nun die Herrschaft übernehmen? Und könnte dies vielleicht nicht auch positiv sein? Denn die Zukunft wird nicht unbedingt als dystopisch oder sonst wie unlebenswert geschildert. Es wird nur eine Umkehr der Beziehung zwischen Menschen und Tentakel gezeigt und genau das ist mir als Grund Purpurs Herrschaft zu verhindern doch ein bisschen zu wenig. Es wird mir als Spieler schlicht keine Motivation gegeben mich durch den Wust unlogischer Inventar-Rätsel zu schlagen.

Unlogische Inventar-Rätsel?

Wenn es etwas gibt, was Day of the Tentacle zur damaligen Zeit kultivierte, dann sind das die angesprochenen unlogischen Inventar-Rätsel. Ein Beispiel? Da Laverne sich in der Zukunft nicht frei bewegen kann, weil sie von einem Tentakelwächter eingesperrt wird, braucht sie eine Möglichkeit, dass sie nicht weiter auffällt. Sie kann maximal in die Krankenstation und außerhalb des Anwesens. In der Krankenstation findet sie eine anatomische Darstellung der Tentacle. Durch die Zeitreisemaschine (warum wird diese von den Tentakeln eigentlich unbeaufsichtigt stehen gelassen?) schicken wir diese Darstellung an Hoagie, der wiederum die Darstellung der guten Frau gibt, welche die amerikanische Flagge näht. Nun erscheint diese Flagge als Tentakelkostüm auf dem Dach der Zukunft. Müsste das eigentlich nicht auffallen, dass Laverne nur ein Kostüm trägt, wenn die Tentakel in der Zukunft die US-Flagge nicht anders kennen? Und nehmen wir dies mal als gegeben hin, bleibt immer noch die Frage, wer auf solch eine Lösung kommen soll – so ganz ohne Komplettlösung?

Damit merkt man ganz deutlich, dass die Aufgaben und deren Lösungen vielleicht für sich genommen gut funktionieren, was den Humor betrifft, sie kollidieren aber mit der Logik der Zeitreise, etwa wenn Dinge in der Vergangenheit geändert werden. Und damit sind diese auch in der Spielwelt unlogisch.

Das Problem dieser Art von Rätsel: Man muss als Spieler den Gedankengängen der Entwickler folgen und genau das schlägt häufig in Ratlosigkeit, dem wilden Kombinieren der Gegenstände und damit schließlich in Frust um. Und das war auch schon damals so! Wenn heute allerorts hervorgehoben wird, wie schön doch damals alles war, verdrängen diese Menschen, dass man damals – ohne Internet und Komplettlösungen – teils Nachmittage allein damit verbracht hat, ständig irgendwelche Gegenstände zu kombinieren, bevor man mit viel Glück auf des Rätsels Lösung kam. Und genau das war damals schon kein gutes Spieldesign und ist es auch heute nicht.

Wenn heutige Point & Click Adventures die Komplettlösungen gleich mit an Bord haben, dann ist das ehrlich gesagt ein Armutszeugnis vor einer antiquierten Mechanik, die auch Anfang der 90er nur leidlich funktionierte. Hinzu kommt, dass Day of the Tentacle schlicht keine Abwechslung bietet! Geben sich heutige Adventures manchmal Mühe zumindest eine Mischung aus logischen Inventarrätseln, Dialogrätsel und Logikrätsel anzubieten, so gibt es in DOTT nur Inventarrätsel. Das ist nach heutigen Maßstäben einfach langweilig und wenn ein 23 Jahre altes Spiel nochmal wieder veröffentlicht wird, dann muss sich das Spiel auch den modernen Standards stellen. Da fällt auf: DOTT wirkt antiquiert und aus der Zeit gefallen. Da hilft auch die fette Nostalgiewelle nichts, diese negativen Aspekte zu verstecken.

 

Ein Vergleich mit heutigen Adventures

Versteht mich nicht falsch: Day of the Tentacle ist kein schlechtes Spiel, aber nach heutigen Maßstäben höchstens unterdurchschnittlich. Würde dieses Spiel heute zum ersten Mal in dieser Form veröffentlicht werden, es würde nicht die ganzen 90% Wertungen bekommen, wie es sie überall gibt. Damit tut man dem Genre übrigens auch kein Gefallen. Denn schon damals haben die Entwickler von Adventures mit dem Erfolg von DOTT gedacht: „Wenn wir unlogische Rätsel einbauen, dann stört das ja nicht weiter.“ Und ich sehe die Gefahr, dass dem heute wieder so sein wird. Wenn intelligente Adventures mit spürbarer Mühe zur Logik und zum Lösen ohne Hilfsmittel überall eine 70% bekommen (und damit an dem unteren Ende der heutigen Wertungsskala rangieren), ein DOTT jedoch 90%, dann muss man kein Prophet sein um vorherzusagen, was das bedeuten könnte.

Aber kommen wir zurück zum Spiel. Dass es inhaltlich aus der Zeit gefallen ist, haben wir jetzt geklärt. Aber auch technisch ist diese Version alles andere als gut. Die Hintergründe wirken so, als ob man diese durch einen Weichzeichner-Effekt gejagt hätte – das bekommt aber auch jeder bessere Emulator hin. Die Figuren haben immer noch dieselben stockenden Animationen wie vor 23 Jahren und selbst die seinerzeit schlechte deutsche Synchronisation wurde nicht erneuert. Anders als die damaligen Remastered-Versionen der ersten beiden Monkey Island Teile, wirkt diese DOTT-Version lieblos und schnell dahingeschludert. So als ob der Entwickler Double Fine gerade mal Geld braucht, aber keine Mühe dafür aufwenden wollte. Diese Lieblosigkeit wirkt sich nicht nur in der audiovisuellen Erfahrung aus, sondern auch dadurch, dass die iOS-App mit knapp 3GB (!) nicht sinnvoll an das System angepasst wurde. Das ist unverhältnismäßig für ein Spiel, das man mit Komplettlösung innerhalb von zwei bis drei Stunden durchgespielt hat und das nur ein paar Handvoll Bildschirme bietet (wie im Originalspiel, könnt ihr auch hier Maniac Mansion von 1987 spielen – aber auch das rechtfertigt nicht solch eine Größe der App). Zum Vergleich: Der weitaus umfangreichere erste Deponia-Teil von Daedalic frisst nicht mal einen Gigabyte auf eurem Smartphone oder Tablet.

Axel meint: Halten wir fest: Day of the Tentacle Remastered ist nicht mehr der Klassiker, für das es häufig postuliert wird. Es ist definitiv noch ein nettes Spiel für Zwischendurch, welches sich durch seine freilich witzigen Sprüche ins Mittelfeld retten könnte, trotz nicht vorhandener Story und extrem unlogischen Rätseln. Das wären zumindest noch drei Wertungssterne – Kein Hit, aber auch kein Totalausfall. Jedoch sind  technische Umsetzung sowie die schludrige Anpassung an das iOS-System so lieblos, dass ich hier dann doch nochmal einen Wertungsstern abziehen muss. Bleiben am Ende zwei Wertungssterne und somit nur die Empfehlung: Für Hardcore-Fans interessant. Alle anderen greifen lieber zu moderneren Adventures wie The Whispered World von Daedalic, Lost Horizon von Fishlabs, Ghost Trick von Capcom oder der ganz besonders tollen Blackwell-Reihe von Wadjet Eye Games.

Tobi meint: Für mich ist Day of the Tentacle Remastered ist echter Klassiker und macht heute noch mehr Spaß als früher! Warum? Weil zu dem guten Adventure bei mir eine gute Prise Nostalgie dazukommt, da ich es damals schon im Original gespielt habe. Da es nur die Remastered-Version ist, braucht man auch nicht über den Vergleich zu heutigen Kollegen zu diskutieren – der heutige Standard gilt hier nicht. Und ich behaupte, heute würde es die meisten Adventures in dieser Form nicht geben, hätte LucasArts dieses Spiel nicht so gemacht. Die Portierung selbst ist grandios: Neues schickes Artwork, deutsche Vertonung, überarbeiteter Soundtrack, interessante Entwickler-Kommentare – wer mag, schaltet diese Dinge beliebig um zum Original. Und um ehrlich zu sein: Das alte Interface ist und bleibt einfach besser! Von mir 5/5 Punkte – Pflicht-Download für Kenner des Originals bei dem kleinen Preis und der Ausstattung!

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