Wenn man an Grafik-Adventure mit Schwerpunkt auf Dialogen und Entscheidungsmöglichkeiten denkt, dann denkt man heutzutage wahrscheinlich als erstes an die Titel des Entwicklers Telltale. Besonders die The Walking Dead-Reihe sollte für viele ein Begriff sein. Es verwundert jedenfalls nicht, das Oxenfree mit seinem Gameplay an die stagnierende Spiele-Formel der bekannten Adventure-Schmiede erinnert – besteht doch sein Entwicklerteam Night School Studio zum Teil aus ehemaligen Telltale-Mitarbeitern. Aber was sind die Unterschiede? Schafft es Oxenfree eigene Akzente zu setzten? Und wie gut ist die iOS Portierung letzten Endes wirklich?

Glaubhafte Charaktere und interessante Geschichte

Für die junge Alex und ihre Freunde sollte es eine besondere Nacht werden. Besonders ja wird sie, aber nicht so wie erwartet. Ihr jährliches Ritual, ein feierliches Treffen am Strand von Edward Island, nimmt eine mysteriöse Wendung nachdem die Teenager bei einer Mutprobe mit übernatürlichen Visionen konfrontiert werden. Nach einem plötzlichen Blackout sind fast alle verschwunden. Deshalb macht sich Alex gemeinsam mit ihrem Stiefbruder Jonas auf, das Geheimnis der Insel zu lüften und die verschwundenen Freunde wieder zu finden.

Schon zu Beginn des Abenteuers zeigt sich, dass die zahlreichen, hervorragend vertonten Dialoge (nur englisch) ein ständiger Begleiter in Oxenfree sind. Mal locker, mal ernst, aber nie langweilig gibt’s Kommentare zur aktuellen Situation, Aufarbeitung von Vergangenem oder einfach nur Smalltalk auf die Ohren. Besonders der tragische Tot von Alex‘ Bruder Michael und ihre neue Familienkonstellation sind ein zentrales Thema der Konversationen und spielen im Verlauf der Geschichte eine tragende Rolle.

Zwischen den Figuren herrscht zudem eine spannende Dynamik. Diese basiert auf Charaktertiefe und einer gemeinsamen, vor allem glaubhaften Vergangenheit. So gibt zum Beispiel Clarissa, die Ex-Freundin des verstorbenen Michael, Alex eine Mitschuld an dessen Tod. Auch der Drogenkonsum von Ren bringt Spannungen und Kabbeleien mit sich.

Jetzt rede ich!

In der Rolle von Alex reagiert man im Laufe des Spiels auf Fragen, plappert dazwischen oder sagt auch einfach gar nichts. Dazu bietet einem Oxenfree in entsprechenden Situationen drei verschiedene Antwortmöglichkeiten an, die tonal immer in unterschiedliche Richtungen tendieren. Da diese Optionen aber oftmals nur sehr kurz eingeblendet werden, sollte man schon gute Englischkenntnisse und ein wenig Konzentration mitbringen. Der eigene Einsatz ist sonst schnell mal verpasst. Konsequent ist Oxenfree aber auch wenn es darum geht, wie sich das Interagieren mit den einzelnen Personen auf das Ende des Spiels auswirkt. Wiederholtes Durchspielen bietet sich also an. Ein einmaliges Durchspielen dauert rund 4 – 5 Stunden.

Eigenwillig, aber schön!

Optisch ist Oxenfree schon etwas Besonderes. Edward Island wird mit sehr schönen, expressionistisch gestalteten Hintergründen in Szene gesetzt. Durch den freien Umgang mit Farbe und Form entsteht ein für das Genre eigenständiges Gesamtbild, was durch den unaufdringlichen Synthesizer-Soundtrack zusätzlich gut untermalt wird. Mit nächtlicher Strandpromenade, verfallener Militäreinrichtung oder Campingplatz bietet die auf den ersten Blick verlassene Insel nicht nur Abwechslung. Die lokalen Begebenheiten versprühen eine wirklich angenehme Grusel-Atmosphäre, die sich gut in die Geschichte einfügt.

Schluss mit dem Gequatsche. Was gibt’s sonst noch?!

Wer mag, darf sich jetzt über das Fehlen von Puzzles oder anderen Rätseln beschweren. Oxenfree konzentriert sich nämlich ganz und gar auf seine Charaktere und die Geschichte. Dafür wird man aber auch glücklicherweise nicht mit Quicktime-Events oder dergleichen genervt (siehe Telltale).

In manchen Situationen muss man aber schon noch etwas anderes machen außer nur zu quatschen: Mittels der Frequenzauswahl eines Radios agiert man mit den mysteriösen Erscheinungen oder öffnet verschlossene Türen. Das ist aber alles andere als anspruchsvoll. Zusätzlich lassen sich auf der Insel noch paranormale Hotspots und Briefe finden. Diese bringen tiefere Einblicke in die Mysterien und die Hintergrundgeschichte von Oxenfree. Da die Größe der Spielwelt überschaubar ist, sind diese „Collectables“ auch recht schnell gefunden. Nur hätte Protagonistin Alex für meinen Geschmack hier und da ruhig einen Zahn zulegen können. Sie läuft doch recht langsam für ihr Alter.

Oxenfree ist kein Actionfeuerwerk oder dergleichen. Auch kleinere Längen beim Erkunden der Spielwelt können schon mal auftreten. Dafür gibt’s glaubhafte Charaktere, wunderbar vertonte Dialoge, einen stimmigen und eigenständigen Grafikstil und ein angenehmes Maß an Grusel-Atmospähre. Oxenfree schafft es einen mit seiner spannenden und mysteriösen Geschichte auch noch über das Spielende hinaus zu beschäftigen und zu begeistern.

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