Wie oft schon musste ich in den letzten Monaten im Netz lesen, wie schade es ist, dass Nintendo ihre alten Klassiker nicht für iOS veröffentlichen? Davon abgesehen, dass diese Spiele überhaupt nicht an eine Touchscreen-Steuerung angepasst werden können, ohne diese stark zu simplifizieren, würde Nintendo natürlich auch ihr eigenes Geschäftsmodell mit den sehr guten Handhelds kaputt machen. Das wird also in der nächsten Zeit nicht passieren, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Und das muss Nintendo auch nicht, denn es gibt ja genügend kreative Indieentwickler im AppStore. So beispielsweise der 33jährige Jörg Winterstein, der bereits vor zwei Jahren mit seinem Erstling Bloo Kid einen Achtungserfolg landen konnte. Nun hat er den Nachfolger Bloo Kid 2 veröffentlicht.

Was auffällt: Bloo Kid 2 ist kein Arcade-Plattformer mehr, dessen Spielgeschehen auf einem Bildschirm stattfindet, sondern ein scrollender Plattformer. Das heißt: Die Figur läuft von links nach rechts und muss allerlei Gefahren ausweichen und in diesem Fall Sterne sammeln. Das ist nichts Neues und seit nun über 30 Jahren eine bewährte Spielmechanik. Auch auf der iOS-Plattform sind in den letzten Jahren viele sehr gute Vertreter des Genres herausgekommen, angefangen mit dem Remake der DS-Version der Giana Sisters über Mimpi bis hin zu Type:Rider.

BlooKid2Bloo Kid 2 wirkt auf dem ersten Blick wie ein weiterer Mario-Klon, wovon es so viele in miesester Qualität im AppStore gibt. Doch der erste Blick täuscht. Vielmehr stellt Bloo Kid 2 eine Verehrung an die 8- und 16-Bit-Ära dar. Das ist die größte Stärke des Spiels, gleichzeitig aber auch die größte Bürde. Denn die Fallhöhe ist nicht ganz ohne. Aber immer der Reihe nach, fangen wir mit den positiven Seiten den Spiels an.

Schon wenn man die App startet, gibt es den ersten Joke: Eine leicht veränderte Version des berühmten „SEEEGAAA“-Jingles, der in den 90ern viele Mega Drive Spiele des japanischen Herstellers eröffnete. Und es geht weiter: In der ersten Szene sehen wir Bloo Kid und Pink Girl, die gemeinsam mit ihrem Nachwuchs ein Picknick machen möchten. Plötzlich aber taucht ein fieser Gargoyle auf, der das Baby kurzerhand entführt. Diese ganze Szene erinnerte mich stark an die Eröffnungsszene von Haunted Castle, dem Arcade-Automaten aus der Castlevania-Reihe. Apropos Gargoyle: Da gab es doch mal einen netten Antihelden, der mit zwei Gargoyles Quest Spielen den Gameboy und das NES unsicher gemacht hat. Und allgemein sieht Bloo Kid schon ein wenig so aus wie Alex Kidd, nur in Blau. Seine Freundin ist natürlich typisch in pink gehalten – alles, aber auch wirklich alles in diesem Spiel erinnert mal deutlicher, mal subtiler an alte Videospielzeiten und dessen Klischees. Da wären beispielsweise die Gegner auf die Bloo Kid trifft: Seien es Mumien, die an die selbige aus Ghosts´n Goblins erinnern, Skelette, die wieder aufstehen wenn man auf sie gesprungen ist und mit Knochen werfen oder Ritter, die man auch schon einmal hier und da gesehen hat. Und habe ich schon erwähnt, dass mich das Gebäude an jedem Levelende an die Giana Sisters erinnert? Am geilsten ist aber die Idee, dass die Endgegner Charaktere aus bekannten Spielen darstellen. Da wären Woody aus Kirby, Rattle aus dem RARE-Klassiker Snake, Ratlle ’n Roll und schließlich Altered Beast aus dem gleichnamigen SEGA-Automaten. Und nun das Beste: Die Grafiken im Spiel sind handgepixelt und neu erstellt.

Foto 3Die Technik des Spiels ist für ein Ein-Mann-Projekt richtig grandios. Die Grafik ist extrem liebevoll, besonders die kleinen Animationen sind einfach fantastisch – beispielsweise die verschiedenen Gesichtsausdrücke der Figuren. So richtig Atmosphäre gibt dem Spiel die grandiosen Hintergründe in den Levels! Schaut Euch in Welt 3 den Friedhof an mit Schloss und Vollmond – ganz großes Pixelkino! Dazu kommt ein wirklich eingängiger Chiptune-Soundtrack, der einen so richtig schön in alte Zeiten transportiert…

… und es könnte alles so schön sein, würden nicht bestimmte Spielmechaniken den guten Eindruck trüben und einem aufzeigen, dass man kein schönes SNES-Spiel vor sich hat, sondern eine App auf dem iPad aus dem Jahre 2014.

Ärgernis Nr. 1: Es gibt keine Leben! Man hat drei Herzen, die als Lebensenergie fungieren – sind diese aufgebraucht, fängt man beim aktuellen Level von vorn an. Dies kann man unendlich versuchen. Das mag heute normal sein, hat es früher aber nicht gegeben. In den alten Zeiten hat man sich viel Mühe mit schönen Game-Over-Screens gemacht, die einem ins Gesicht lachten – wenn man alle Leben aufgebraucht hat – und herausforderten: „Haha, wir haben gewonnen! Du bist eh nicht gut genug unser Spiel zu meistern“. Und so war man motiviert es beim nächsten Mal besser zu machen.

Foto 4 Ärgernis Nr. 2: Es fehlen echte Anreize! In jedem Level gibt es gelbe Sterne und gut versteckte blaue Sterne. Am Ende eines Levels bekommt man noch Sterne für erreichte Ziele wie ein das Beenden des Levels innerhalb des Zeitlimits, das Besiegen aller Gegner oder das Sammeln aller Sterne. Das kann man alles erreichen, bringt einem aber überhaupt nix. Weder bekommt man durch eine gewisse Anzahl gelber Sterne ein Extraleben (da es keine Leben als solches gibt), noch ist nötig die blauen Sterne zu suchen, denn sie haben sonst weiter keine Funktion. Sicher, es gibt GameCenter-Achievements, doch das ist für mich bedeutungslos, da ich sowieso nicht auf diese achte.

Als Gegenbeispiel möchte ich die iOS Version von Giana Sisters anführen: Sammelt man hier in allen Levels innerhalb einer Welt alle drei roten Diamanten, kann man Bonuslevel freischalten. Dieser kleine Kniff sorgt dafür, dass man diese Diamanten auch wirklich finden will. Solche Anreize fehlen in diesem Spiel. Dabei wäre doch der am Ende fortschwebende Ballon eine schöne Eintrittskarte für ein Minispiel, bei dem man beispielsweise Extraleben o.ä. erspielen könnte.

Ärgernis Nr. 3: Es gibt keine Abgründe! Man kennt das aus viele Plattformern: Die kniffligsten – aber auch unterhaltsamsten – Stellen sind die Sprungpassagen, wo die Chance groß ist in den Abgrund zu stürzen und ein Leben zu verlieren. Solche Stellen fehlen- bis auf eine Ausnahme – hier völlig. Man hat immer sicheren Boden unter den Füßen und die Schwierigkeit kommt später eher dadurch, dass die Gegner immer mehr werden. Nur finde ich persönlich das Uninteressanteste an Plattformern auf Gegnern zu springen, spätestens wenn man deren Angriffsmuster kennt. Abschnitte mit gezielten Sprüngen oder schwebende Plattformen geben dem Ganzen die nötige Würze und Abwechslung. Immerhin im dritten Level findet man etwas Ähnliches: Hier gibt es Lavaströme, mit kleinen Plattformen. Schon spielt man bewusster, vorsichtiger und nimmt somit auch die Atmosphäre des Spiels mehr auf! Da die Steuerung sehr gut funktioniert, könnte man durchaus schöne Sprungpassagen in den Levels integrieren.

Der Entwickler hat so viel Witz und Herzblut heineingelegt, auch die Level sind unterm Strich gut. Und dann gibt es solche drei ärgerlichen Rückschläge. In bewusst modernen Spielapps wären sie nicht gravierend, hier aber schon. Denn das Spiel gibt sich so viel Mühe den Retroaspekt herauszustreichen, es zitiert am laufenden Band Klassiker und dann ist man nicht konsequent genug von vorne bis hinten Retro zu sein?

Da das Spiel noch nicht fertig ist, sondern bisher nur die ersten drei Welten spielbar sind, hoffe ich, dass diese Kritik auf offene Ohren stößt. Denn es fehlt wirklich nicht viel: Gib dem Spieler Leben, Bonuslevel, knifflige Sprungpassagen, Belohnungen wenn man die versteckten Sterne findet und vielleicht noch eine hübsche Weltkarte und niemand wird mehr nach Nintendo rufen. Denn dann hätten wir den besten Retro-Plattformer auf dem iOS und den Giana Sisters den Rang abgelaufen!

Axel meint: Bloo Kid 2 ist ein schöner Plattformer, der grafisch zur absoluten Retro-Extraklasse gehört und liebevoll gestaltet wurde. Es lässt sich kostenlos laden, die Werbeeinblendungen kann man für 1,79€ dauerhaft ausschalten – und der Entwickler hat sich das Geld jetzt schon verdient. Wenn er sich besagte Kritik noch zu Herzen nimmt, würde ich locker 10€ und mehr für das Spiel bezahlen. Dieses Spiel hat so viel Potential, so gute Ideen und einen herrlichen Humor, dass es einfach schade wäre, wenn man sich den ungeschriebenen iOS-Regeln zu sehr unterwerfen würde… Eine Download-Empfehlung für Retrospieler!

Tobi meint: Bei dem Bloo  Kid 2 werden Erinnerungen wach: Liebevoll gepixelte Grafik, die an hinter jeder Ecke mit einer kleinen Hommage an die großen Klassiker der 90er Jahre aufwartet. Die Steuerung ist präzise, die Level abwechslungsreich. Mir persönlich, als Spieler der lieber einen schnellen Erfolg hat, als sich stundenlang an einer Stelle festzubeißen, kommt das Drei-Leben-pro-Level Modell entgegen. Auch die anderen Ärgernisse habe ich nicht so schlimm empfunden. Ich würde dem Plattformer also mindestens 4/5 vergeben. Ladet es euch herunter – wenn es euch gefällt unterstützt den Entwickler mit dem Wegkauf der Werbeeinblendungen.

[app 807538352]
+ herrliches Retrosetting
+ schöne Anspielungen und Zitate auf Klassiker
+ sehr gute Spielbarkeit
+ grandiose Grafik
+ 3 Schwierigkeitsgrade
+ 3 Speicherplätze
+ verdammt guter Soundtrack
+ GameCenter Anbindung
+ Universal-App
– zu viele Zugeständnisse an die heutige iOS-Jugend