So, habe ich eure ungeteilte Aufmerksamkeit? Ja? Sehr schön. Eigentlich mag ich es nicht Artikel mit einer besonders reißerischen Überschrift zu garnieren (auf neudeutsch Clickbaiting genannt). Aber an dieser Stelle ist es nötig. Denn in dieser Kolumne möchte ich über etwas schreiben, was mich schon seit längerer Zeit stört: Die Bezeichnung „Premium-Modell“.

Mir ist Sprache durchaus wichtig. Ich achte darauf woher ein Wort kommt, welche Bedeutung ein Wort hat und verwende die Wörter dementsprechend. Ich finde es nicht gut, wenn Wörter ihre Bedeutung beraubt werden. Ein Beispiel wäre das Wort Opfer. Ein Wort, das besagt, dass ein Mensch durch einen anderen Menschen Schaden nimmt oder sogar umkommt. Oder ein Wort, welches einen persönlichen Verzicht zugunsten eines anderen Menschen, eines Hobbies oder eine Gottheit umschreibt. In der ersten Definition ist ein Opfer unschuldig irgendwo reingeraten, in der zweiten Definition kann opfern sogar als Stärke gesehen werden. Etwa wenn man bereit ist etwas aus Liebe aufzugeben. Unschuld und Stärke, zwei eher positive Beschreibungen für einen Menschen.

In der Jugendsprache wird das Wort jedoch pervertiert und abwertend für einen Schwächling oder Verlierer verwendet. Das dreht die Bedeutung der ursprünglichen Definition also zu 180° um und sollte daher als wertende Verwendung abgelehnt werden. Ein Opfer bleibt ein Opfer und kann nicht einfach in einen „Schwächling“ umgedeutet werden.

Premium2

Heroes of Might and Magic Komplettedition mit vielen Extras

Ähnlich verhält es sich bei dem Wort premium. Was sagt uns der Duden zu dem Wort? Ein Wort, welches in der Wirtschaft und in der Werbesprache gebraucht wird und für besonders hochwertig steht. Was heißt hochwertig eigentlich? Das man etwas erwirbt, wo der beste Qualitätsanspruch dahintersteht. Es steht für eine Ware, die so hochwertig ist, dass es besser gar nicht mehr werden kann. Schon allein aus dieser Definition verbietet sich die Verwendung des Wortes premium für iOS-Spiele und ich möchte auch ausführen warum.

Als sogenanntes „Premium-Modell“ bezeichnet man neuerdings Spiele, die normal verkauft werden. Also nicht kostenlos angeboten werden um sich über In-App-Käufe zu finanzieren, sondern die man einmal bezahlt und normal spielen kann ohne mit Werbung und In-App-Käufen genervt zu werden. So weit so gut. Aber macht dieser Umstand ein Spiel wirklich schon zu einem Premium-Spiel, das heißt, zu einem Spiel mit solch einem hohen Qualitätsanspruch, dass es besser gar nicht mehr werden könnte? Ich sage: Nein. Denn es fehlt etwas sehr entscheidendes bei iOS-Spielen: Der Mehrwert sowie die zeitlich unbegrenzte Verfügbarkeit!

Als Beispiel für das, was ich unter premium verstehe, möchte Sammeleditionen von PC- und Konsolenspielen anführen. Diese kommen nicht selten in einer besonders hochwertigen und stabilen Verpackung. Der Inhalt ist also besonders gut vor Außeneinwirkungen geschützt. Neben dem eigentlichen Spiel liegen häufig viele Extras dabei. Sei es große Karten bei einem Rollenspiel, ganze Bücher mit exklusiven Geschichten zur Spielewelt oder hochwertige Artwork-Designs. Das gibt mir als Spieler einen Mehrwert: Ich kann noch viel tiefer in die Welt eintauchen. Es ist eben doch ein Unterschied, ob ich nur kalte nackte Daten habe – oder ob ich ein zusätzliches, dickes Buch in den Händen halten kann. Ich kann fühlen, lesen, anschauen – erleben! Soundtrack-CDs, mit denen ich die Ohrwürmer eines Spiels auch hören kann, wenn ich nicht gerade das Spiel spiele. Sie geben mir den Mehrwert die Musik ganz in Ruhe genießen zu können ohne störende In-Game-Geräusche. Besonders bei klassischen Kompositionen von einem Orchester eingespielt ein Hochgenuss!

Premium3

Loom (1990) inklusive dem professionell aufgenommenen Hörspiel

Poster, die ich mir einrahmen und wie ein Kunstgemälde anschauen kann. Oder wie wäre es mit Hörspielen, die einem die Vorgeschichte eines Spieles näher bringen? Wie vor 25 Jahren beim LucasArts-Klassiker Loom oder vor einigen Jahren beim deutschen Rollenspiel Drakensang für den PC? Auch das bietet Mehrwert für das eigentliche Spiel. Genauso wie das exklusive Kartenspiel in der Complete Collection der Heroes of Might and Magic Reihe. Häufig bieten solche Sammlerboxen Merchandise wie T-Shirts, DVDs mit Making-Of-Videos und Dokumentationen, Actionfiguren und andere Goodies. Auch das ist ein netter Service an die Fans.

Ich bin ein großer Fan von solchen Editionen. Bei Spielen, CDs, Filmen und Serien. Besonders wenn sie sinnvolle Goodies beinhalten, womit man sich außerhalb des eigentlichen Spiels, der Musik oder des Films noch stunden mit beschäftigen kann. Es gibt mir nicht nur das Gefühl etwas Edles zu besitzen, zumal die meisten Sammeleditionen streng limitiert sind. Richtig umgesetzt und mit Liebe gestaltet erweitern sie ein Produkt um viele Facetten.

Aber entscheidend bleibt etwas anderes: Ich kann Spiele auf Datenträgern, sei es mit oder ohne Sammeledition, auch noch in 20 Jahren spielen! Ich kann heute noch meine alten CD-Roms mit den frühen Lucas-Arts-Adventures aus meinem Regal holen und auf meinem PC installieren. Programme wie DosBox, ScummVM, QEMU oder Microsoft Virtual PC sei Dank – und das alles komplett legal und super einfach!

Premium4

Limitierte Tales of Monkey Island Schatzkiste von Telltale

Was aber kann ich machen, wenn ich die iPad-Versionen von Monkey Island 1 und 2 spielen möchte und diese nicht gekauft habe, bevor diese aus dem App Store genommen wurden? Vielleicht, weil ich erst letztens in einem Artikel davon erfahren habe, dass es davon auch mal iPad-Versionen gab? Ich muss mir umständlich einen Jailbreak auf das iPad installieren und anschließend die .ipa Dateien irgendwo von einer illegalen Seite runterladen. Meistens aus Russland oder China. Und setze dazu meinen Rechner dem Risiko aus Schadsoftware einzufangen. Und selbst wenn ich beide Spiele ursprünglich im App Store gekauft habe und noch unter „Käufe“ legal herunterladen kann: Wer garantiert mir, dass beide Spiele auch noch mit iOS 9 oder iOS 10 spielbar bleiben?

Wo wir wieder bei der besten Qualität angelangt wären, denn genau das bedeutet das Wort „premium“ nun einmal. Für mich heißt beste Qualität nicht nur, dass ich etwas in der Hand halten kann und vielleicht noch tolle Goodies in einer Collectors Edition bekomme. Für mich heißt diese Qualität in erster Linie auch eine zeitlich unbegrenzte Verfügbarkeit! Immerhin habe ich dafür mal Geld bezahlt – ob 5€ oder 50€ ist dabei egal. Auf dem PC habe ich legale Tools um alte Spiele auch auf neuen Betriebssystemen problemlos starten zu können. Bietet Apple einen Kompatibilitätsmodus zu alten iOS-Versionen an oder lässt mich Downgrades zu früheren iOS-Versionen durchführen? Nein. Vielmehr löscht der Konzern aus Cubertino sämtliche Spiele, die nicht mehr mit der neuesten Version des Betriebssystems kompatibel sind aus ihrem Store. Und wenn man vorher für ein Spiel bezahlt hat und es dann nicht mehr lauffähig ist: Pech gehabt!? Unter bester Qualität verstehe ich wirklich etwas anderes…

Das sogenannte „Premium-Modell“ ist also nichts anderes als ein Marketingbegriff. Mit dem Unterschied, dass die Bedeutung auch hier zu 180° umgedreht wurde! Daher verstehe ich nicht, wieso Blogger und Journalisten nicht müde werden diesen Marketingbegriff in ihren Artikeln immer wieder zu verwenden (was haben Marketingbegriffe allgemein in journalistische Inhalte zu suchen?). Nur weil ein Spiel Geld kostet, ist es noch lange nicht premium. Von der ganzen oben beschriebenen Problematik und den Gegenbeispielen abgesehen: Es gibt nun mal auch schlechte und mittelmäßige Spiele die Geld kosten. Und auf die Erklärung, wie auch ein schlechtes Spiel eine hochwertige Qualität besitzen kann, warte ich in der Tat noch heute…

Versteht mich nicht falsch! Natürlich bin ich begeistert von vielen iOS-Spielen. Ich finde es toll, welche Technik heutzutage transportabel ist und was für kreative Spielideen mit einem Touchscreen umgesetzt werden können. Ich liebe mein iPad nicht nur als Spielstation, sonder auch als Ebook-Reader, mobiles Kino und Abspielstation vieler TV-Serien und Musik. Ich nutze es als Podcast-Empfänger, Radiogerät, GPS und Navigationsgerät Das finde ich wirklich alles ganz schnicke, glaubt mir. Aber vielleicht liegt es auch am Alter, ich weiß es nicht: Ich werde schön designte Sammelboxen eines Spiels jederzeit der Downloadversion vorziehen. Ich werde eine Vinylplatte mit den schönen großen Coverartworks jederzeit einer MP3 vorziehen. Dinge in der Hand zu halten macht für mich eine Sache erst sinnlich. Es gibt mir einen ganz anderen Bezug und hilft mir den Wert von Kunst besser wertschätzen zu können. Ein klassisches Buch kann ich hin und her blättern. Ich kann es spüren und riechen. Ich liebe alte Bücher, dessen Seiten sich alt anfühlen und vergilbt sind. Es gibt mir dieses Gefühl, dass diese Bücher tatsächlich eine Historie und schon viel miterlebt haebn. Digitale Daten dagegen bleiben für mich immer nackt und kalt – ohne jegliche Persönlichkeit. Und genau dieses Gefühl ist für mich entscheidend, ob ich etwas als beste Qualität wertschätzen kann oder nicht…

P.S.: Mit diesem diesem Hintergrund ist natürlich auch der Begriff freemium – also die Zusammensetzung aus free und premium – kompletter Humbug. Was da streckenweise für menschenverachtende Entwickler hinter stehen, können euch die beiden Spielejournalisten Jochen Gebauer und Andre Peschke in Folge 5 des wirklich hörenswerten Podcast Auf ein Bier (Homepage | iTunes-Link) besser erklären als ich in kurzen Sätzen.